Barrierefreiheit in Oberösterreich in Gefahr?

(von Chefredakteur Mag. Wolfgang Glaser)

Bei Diskussion um Barrierefreiheit Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausspielen!

Unter dem Titel „Barrierefreiheit in Gefahr?“ veranstaltete das Netzwerk „Barrierefreies OÖ“ am 30. Mai 2012 im Linzer Ursulinenhof eine Podiumsdiskussion über die geplanten Veränderungen der OÖ. Neubauförderungsverordnung und des OÖ. Bautechnikgesetzes im Bereich der Barrierefreiheit.

Am Podium vertreten waren seitens der Politik LAbg. Ulrike Schwarz (Grüne), LAbg. Dr. Christian Dörfel in Vertretung von LH-Stv. Franz Hiesl (ÖVP), LAbg. Gisela Peutlberger-Naderer (SPÖ) sowie LAbg. Ing. Herwig Mahr in Vertretung von Landesrat Dr. Manfred Haimbuchner (FPÖ).

Als VertreterInnen von Menschen mit Behinderung und ExpertInnen auf dem Gebiet Barrierefreiheit waren Mag.a Karin Kaufmann (SLI OÖ), Ing. Hannes Wiesinger (Sachverständiger für barrierefreies Planen und Bauen, OÖZIV) und Gunther Trübswasser (SOS Menschenrechte) vertreten.

Auch der Behindertenkoordinator der Stadt Linz, Ing. Ewald Reinthaler, nahm an der Diskussion teil. Moderiert wurde die Veranstaltung von Philipp Hirsch von den OÖ Nachrichten.

Barrierefreiheit betrifft jeden Menschen

„Unsere Gesellschaft wird älter und damit wird die Notwendigkeit nach barrierefreiem Wohnraum auch in unserem Bundesland exorbitant anwachsen“, erklärte der Moderator Phillipp Hirsch zu Beginn der Veranstaltung.

Auf die Frage des Moderators, ob die Änderungen im OÖ. Bautechnikgesetz und der OÖ. Neubauförderungsverordnung nach ihrer Ansicht Verbesserungen oder Verschlechterungen für die Barrierefreiheit in OÖ bringen würden, gab es folgende Stellungnahmen seitens der Politik:

Keine Verbesserungen

„Es gibt bestenfalls einen Gleichstand, aber keinesfalls Verbesserungen. Von Verbesserungen im Bereich der Barrierefreiheit sind wir insgesamt in der Gesellschaft noch meilenweit entfernt“, meinte Ulrike Schwarz von den Grünen.

„Es schaut so aus, dass ältere Menschen und Menschen mit Behinderung sowie Familien mit Kleinkindern hier zu Menschen zweiter Klasse abgestempelt werden. Das lassen wir nicht zu – wir möchten, dass der geförderte Wohnbau den zentralen Wohnbedürfnissen der Bevölkerung nachkommt. Dass es z.B. barrierefreie Wohnungen nur mehr im Erdgeschoss geben soll, lehnen wir entschieden ab. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf Artikel 7 der Bundesverfassung. Wer heute die Barrierefreiheit einschränkt, baut neue Barrieren auf“, meinte LAbg. Gisela Peutlberger-Naderer (SPÖ).

Wohnen muss leistbar bleiben

„Ich glaube, dass die Gesetzesänderung des OÖ. Bautechnikgesetzes und der OÖ. Neubauförderungsverordnung zwar keine Verbesserungen bringt, aber auch nicht wirklich eine Verschlechterung … Wir haben in OÖ derzeit das Geld für 2.000 Wohnungen, die wir jährlich zu 100 % barrierefrei bauen. Wir können uns das aber langfristig nicht mehr leisten. Aufgrund des Gesamtstandards sind Wohnungen inzwischen so teuer, dass eine Familie bereits 30 bis 40 % des Gehalts für das Wohnen auslegen muss. Es wäre unfair gegenüber der Jugend, so ehrlich müssen wir hier sein, wenn wir nicht dafür sorgen, dass Wohnen leistbar bleibt“, meinte LAbg.Ing. Herwig Mahr (FPÖ) in seinem Statement.

„Wir sind einfach nicht mehr in der Lage das alles auszufinanzieren. Deshalb haben wir versucht, mit Maß und Ziel gewisse vernünftige Einschränkungen durchzuführen, damit wir auch in Zukunft in der Lage sind, geförderten Wohnbau anbieten zu können“, so Mahr.

Ich glaube, dass das OÖ. Bautechnikgesetz zwar keine Verbesserung, aber auch keine wesentliche Verschlechterung der bisherigen Rechtslage mit sich bringt. Bei der OÖ. Neubauförderungsverordnung wird es ja gleichbleiben, dass ein Aufzug ab dem 3. Obergeschoss für den geförderten Wohnbau vorgesehen ist. Es ist schon seit langem das Bemühen der OÖ. Landesregierung, Wohnen wieder erschwinglicher zu machen. Dies erfolgt nicht nur ausschließlich auf dem Rücken von Barrierefreiheit, sondern es gibt ein Bündel von Maßnahmen wie z.B. die Reduktion der Fahrradabstellflächen, die insgesamt dazu beitragen, dass Wohnen günstiger wird, ohne die Standards wesentlich zu verschlechtern. Wir sind der Auffassung, dass das neue OÖ. Bautechnikgesetz verfassungskonform ist“, erklärte Dr. Christian Dörfel (ÖVP).

Entwurf des OÖ. Bautechnikgesetzes nicht im Einklang mit UN-Konvention

„Österreich ist seit 2008 an die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung gebunden, die besagt, dass im Bereich der Barrierefreiheit Verbesserungen gemacht werden müssen. Es gibt die Richtlinien des Österreichischen Institutes für Bauwesen, das ÖIB, deren Normen über Barrierefreiheit und Nutzungssicherheit in den Gesetzesänderungen fast zur Gänze übernommen wurden – mit einer Ausnahme: nämlich dem Lifteinbau ab dem 2. Obergeschoss.

Das ist aus meiner Sicht als Menschenrechtsexperte eine Benachteiligung, die nicht im Einklang mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung steht“, erklärte Gunther Trübswasser von SOS Menschenrechte, der seit kurzem auch Mitglied des Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung ist.

Öffentliche Gebäude für weniger als 50 Personen nicht barriererfrei

„Im Entwurf des OÖ. Bautechnikgesetzes ist eine Liste enthalten, welche Gebäude barrierefrei zu errichten sind. Nicht enthalten in dieser Liste sind z.B. Gaststätten, Handelsgeschäfte, des nicht täglichen Bedarfs (z.B. Buchhandlungen, Bekleidungsgeschäfte) oder Kulturstätten. Was mich besonders ärgert ist, dass öffentliche Gebäude nur dann barrierefrei gemacht werden sollen, wenn sie für mehr als 50 Personen ausgelegt sind. Das ist eine krasse Menschenrechtsverletzung und ist sachlich nicht begründet“, meinte Trübswasser.

„Die 50-Personen-Grenze gilt bereits in Wien, im Burgenland, Tirol, Vorarlberg und der Steiermark und über die Sinnhaftigkeit dieser Grenze muss sicher noch geredet werden“, antwortete darauf Dr. Christian Dörfel (ÖVP).

Immer weniger barrierefreie Wohnhäuser im ländlichen Bereich

„Die geplante OÖ. Neubauförderungsverordnung 2012 sieht vor, dass in neuen Wohnanlagen mit bis zu 9 Wohnungen und 2 Obersgeschossen kein Lift errichtet werden muss. Das würde vor allem für den ländlichen Bereich bedeuten, dass es kaum mehr Wohnhäuser geben wird, die barrierefrei gebaut werden müssen, weil auf dem Land meistens keine mehrgeschossige Wohnbauten mit mehr als 9 Wohnungen errichtet werden“, kritisierte Trübswasser.

Barrierefreiheit ist kein übertriebener Standard

„Barrierefreiheit ist kein übertriebener Standard. Wir leben in einer Zeit in der wir uns vieles leisten können und Barrierefreiheit sollten wir uns auf jeden Fall leisten“, meinte LAbg. Gisela Peutlberger-Naderer (SPÖ).

Einsparungen durch Änderungen von Randbestimmungen

„Niemand hat ein Interesse, Barrierefreiheit massiv zu verschlechtern, ich ersuche aber darum, einzusehen, dass durch Änderungen von Randbestimmungen (wie z.B. bei kurzen Rampen in Wohngebäuden mögliche 10 % Steigung statt 6 % Steigung), hier Einsparungen gemacht werden können“, so Dr. Christian Dörfel (ÖVP).

Barrierefreiheit muss nicht teuer sein – Intelligente Lösungen gefragt

„Barrierefreiheit ist eine Querschnittsmaterie und wenn man das OÖ. Bautechnikgesetz ändert, dreht man an der falschen Schraube. Barrierefreiheit muss nicht teuer sein. Es sind einfach intelligente Lösungen gefragt“, so Ing. Hannes Wiesinger.

Wohnbau, der nicht barrierefrei ist, ist diskriminierend

Der Behindertenkoordinator der Stadt Linz, Ing. Ewald Reinthaler meinte: „Wohnraum nicht für jeden erreichbar zu machen, ist diskriminierend. Eigentlich müsste jede Wohnung barrierefrei sein.“

„Genauso diskriminierend ist es aber für die Jugend, wenn sie keine Wohnung mehr bekommt, weil sie sich keine mehr leisten kann. Wir müssen uns daher gemeinsam Lösungen überlegen, wie wir die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen finanzierbar unter einen Hut bekommen können und Kompromisse finden“, erklärte Ing. Mahr (FPÖ).

Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausspielen

„Auch Jugendliche werden vielleicht einmal eine Familie gründen und älter werden und somit Barrierefreiheit brauchen“, war darauf eine Zwischenbemerkung aus dem Publikum.

„Es wäre der schlimmste Weg, wenn wir anfangen, verschiedene Bevölkerungsgruppen wie die Jungen gegen die Alten oder gegen die Menschen mit Behinderung auszuspielen. So kommen wir sicher nicht weiter. Wir brauchen eine konstruktive Lösung“, meinte Trübswasser.

Persönliche Assistenz statt Barrierefreiheit

„Ich bin auf einen Elektrorollstuhl angewiesen und wohne in einer Erdgeschosswohnung in Linz. Da mein Postkasten nur über Stufen erreichbar ist, brauche ich dazu Persönliche Assistenz, wenn ich meine Post bekommen will. Die Kosten für die Persönliche Assistenz spielen offensichtlich keine Rolle, weil die betreffen nicht das Wohnressort, sondern das Sozialressort“, erklärte ein Mann aus dem Publikum.

Barrierefreiheit tut allen gut

„Barrierefreiheit tut allen gut und wenn man damit schon vor 20 Jahren damit begonnen hätte, gäbe es das Problem heute gar nicht. Wir bräuchten uns nur an Schweden, Finnland und den USA orientieren“, meinte eine Frau, die in Linz ein Reisebüro für Menschen mit Behinderung leitet.

„Jeder Mensch hat etwas von der Barrierefreiheit und über Barrierefreiheit hat sich noch niemand beschwert“, erklärte Mag.a Karin Kaufmann von SLI OÖ.

„Österreich hat sich zur UN-Konvention bekannt und sollte daher auch dazu stehen“, meinte der Präsident der Lebenshilfe OÖ, Ing. Franz Weiß, bei der Podiumsdiskussion.

„Wir werden den Spagat schaffen müssen zwischen barrierefreien Wohnen und leistbarem Wohnen“, so Dr. Christian Dörfel zum Abschluss der Diskussion (ÖVP).

„Wir müssen wegkommen von der Frage was kostet Barrierefreiheit und sollten uns besser fragen, was bringt Barrierefreiheit?“, erklärte Ulrike Schwarz von den Grünen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die politischen Entscheidungsträger Denkanstöße und Anregungen aus der Diskussion mitnehmen konnten und in ihre Entscheidungsfindung über die Gesetzesentwürfe einfließen lassen.

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