LoFric aktuell: Gespräch mit Dr. Thomas Jud

n der Sonderausgabe LoFric aktuell aus dem Jahr 2016 wurde in der Reihe „Menschen, die Mut machen“ ein Interview mit Dr. Thomas Jud zum Thema „Rehabilitation“ abgedruckt. Wir geben diesen Text mit freundlicher Genehmigung von LoFric hier wider:

Unterstützung bei der Neuorientierung

Dr. Thomas Jud ist Facharzt für Urologie und arbeitet seit vier Jahren im Rehabilitationszentrum in Häring in Tirol. Davor war er an der Neuro-Urologischen Ambulanz der Klinik Innsbruck tätig, wo er sich auf Neuro-Urologie spezialisiert hat. LoFric aktuell sprach mit Dr. Jud über die Herausforderung für die Patienten und die Phasen der Rehabilitation.

LoFric aktuell: Herr Dr. Jud, Sie arbeiten im Rehabilitationszentrum Häring mit querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten. Was genau ist dabei Ihre Aufgabe als Urologe?

Dr. Thomas Jud: Querschnittgelähmte Patienten leiden an unterschiedlich ausgeprägten Harnblasen- und Mastdarmentleerungsstörungen, welche einerseits mit unwillkürlichem Harnverlust einhergehen, andererseits eine potentielle Gefahr für die Nieren darstellen, da ein Überdruck in der Harnblase einen Reflux zu den Nieren verursachen kann, der zu einer Schädigung führt. Meine Aufgabe besteht hauptsächlich darin, diesen Schaden zu verhindern.

LoFric aktuell: Zu welchem Zeitpunkt / in welchem Stadium ihres Weges kommen die Patienten zu Ihnen?

Dr. Thomas Jud: Nach der Verletzung des Rückenmarks kommt es zum sogenannten spinalen Schock mit Lähmung aller Funktionen unterhalb der Läsionshöhe. Die Behandlung in dieser Akutphase findet meistens im behandelnden Erstkrankenhaus statt. Im Anschluss daran findet die weitere Betreuung an unseren Zentren statt. Bei den meisten Patienten sind regelmäßige Blasendruckmessungen durchzuführen und eine lebenslange neuro-urologische Begleitung ist unumgänglich.

LoFric aktuell: Wie geht es Ihren Patienten körperlich und psychisch, wenn sie ins Rehazentrum kommen?

Dr. Thomas Jud: Betrachten wir zuerst die erste Phase der Rehabilitation, also den Eintritt der Lähmung, die Einlieferung ins Spital und die ersten Wochen in der Klinik, in der die Erhaltung des Lebens des Frischverletzten im Mittelpunkt steht. In der zweiten Phase, früher als „Liegephase“ bezeichnet, wechselt beim Patient die Hoffnung auf Genesung mit tiefer Traurigkeit, wo dem Patienten der Verlust von bisher selbstverständlichen Körperfunktionen bewusst wird. Wenn Patienten zu uns kommen, ist meist die dritte Phase der Rehabilitation erreicht. Darunter ist die Mobilisierung des Patienten zu verstehen. Es geht anfänglich „aufwärts“; der Patient kann nun aufsitzen, das Personal steht nun nicht mehr über, sondern neben ihm. Es folgt aber meist eine schwere Enttäuschung. Das ersehnte Aufsitzen und das folgende Sitzen im Rollstuhl lassen den Patienten seine Behinderung nun auf unmissverständliche Art und Weise erleben.

LoFric aktuell: Was „lernen“ die Patienten im Rehabilitationszentrum für die Zeit und den Alltag danach? Wie werden sie medizinisch und mental darauf vorbereitet?

Dr. Thomas Jud: Rehabilitation von querschnittgelähmten Menschen bedeutet nicht unbedingt die Wiederherstellung körperlicher Funktionen, sondern das Erlernen von Fähigkeiten, um mit der veränderten Lebenssituation zurechtzukommen. Man spricht danach von medizinischer, beruflicher und sozialer Rehabilitation, die schließlich zur Reintegration des Patienten beitragen soll. Dazu steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung.

LoFric aktuell: Zu welchem Zeitpunkt / in welchem Stadium ihres Weges verlassen die Patienten das Rehazentrum?

Dr. Thomas Jud: Rehabilitation endet nicht mit der Entlassung aus dem Rehazentrum. Im Idealfall ist der Patient dazu in der Lage, seinen Alltag ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Diese Fähigkeiten müssen in Zusammenarbeit mit dem engsten Umfeld erhalten und ausgebaut werden. Die Aufenthaltsdauer der Erstrehabilitation kann bis zu acht Monaten betragen. In diesem Zeitraum werden auch Adaptierungen der häuslichen Umgebung vorgenommen.

LoFric aktuell: Was ist aus medizinischer Sicht das Wichtigste, was Sie und Ihre KollegInnen einem Patienten mit einer – häufig frischen – Querschnittlähmung vermitteln, mitgeben können?

Dr. Thomas Jud: Um als Para- oder Tetraplegiker gesund zu bleiben und eine durchschnittliche Lebenserwartung zu erreichen, ist es notwendig, erlernte Maßnahmen zur Druckentlastung der Haut, Lagerung und körperschonendes Krafttraining etc. durchzuführen und Signale des Körpers richtig zu deuten und ernst zu nehmen sowie darauf entsprechend zu reagieren.

LoFric aktuell: Was ist aus Ihrer Sicht neben der fachärztlichen Expertise das Wichtigste, was Sie und Ihre KollegInnen einem Patienten mit einer – häufig frischen – Querschnittlähmung für die Zeit nach der Rehabilitation vermitteln, mitgeben können / möchten?

Dr. Thomas Jud: Das Ausmaß der bleibenden Einschränkungen ist unterschiedlich. Sich an ein Leben mit Krücken oder im Rollstuhl zu gewöhnen, dauert jedenfalls länger als ein Rehabilitationsaufenthalt. Diese Neuorientierung des Lebens betrifft sowohl die Patienten als auch deren nächste Angehörige. Schwierige Phasen können durch fachliche Unterstützung des Rehabilitationsteams, persönliche Kontakte und Vorbilder unter den Patienten oder in Selbsthilfegruppen überwunden werden. Eine Abklärung in den verschiedenen Rehabilitationsbereichen und das Wissen über Entwicklungen in der Rehabilitation von Querschnittgelähmten geben uns die Möglichkeit, Maßnahmen zu setzen, um die Lebensqualität dauerhaft zu erhalten.

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