Therapie der Spastik bei Querschnittlähmung

(von Dr. med. Hans Georg Koch, Angewandter Wissenstransfer, aus Paracontact 4/2014)

In der letzten Ausgabe des Paracontacts haben wir erklärt, wie Spastik entsteht und welche positiven wie negativen Aspekte damit einhergehen. Im folgenden Artikel geht es nun um die Therapie.

Eine Behandlung der Spastik muss klare Ziele haben, die zwischen Arzt und Patient vereinbart werden. Die Spastik soll gesenkt und Schmerzen vermieden werden. Die funktionellen Fähigkeiten und damit die Mobilität des Betroffenen werden verbessert. Es geht darum, Kontrakturen zu vermeiden, die Pflegbarkeit und Hygiene zu verbessern und nicht zuletzt eventuell eine Rehabilitation erst zu ermöglichen.

Nicht jede Spastik muss behandelt werden. Oft sind die Folgen der Nebenwirkungen (z. B. eingeschränkte Verkehrstauglichkeit) einschneidender als die Spastik selbst. Man darf auch nicht erwarten, dass durch eine Behandlung die Spastik ganz zum Verschwinden gebracht werden kann. Es wird immer ein Abwägen zwischen Gewinn für den Patienten und Beeinträchtigung durch die Nebenwirkungen sein. Man muss den goldenen Mittelweg finden.

Stufe 1: Prävention

Oft ist die Spastik von irgendwelchen sensorischen Ereignissen getriggert. Dies kann von Berührung über Schmerzempfindung bis zu akustischen und optischen Sensationen gehen. Beispielsweise wenn jemand die Türe zuknallt. Spastik ist häufig auch ein Zeichen einer gefüllten Blase, eines überdehnten Darmes, eines nicht wahrgenommenen Schmerzreizes im gelähmten Bereich (z. B. Decubitalgeschwür) oder einer Infektion (Blase, Nebenhoden usw.).

Die allereinfachste Behandlung besteht darum im Vermeiden dieser Zustände und Ereignisse. Das verursacht keine Kosten, hat keine Nebenwirkungen und kann von jedem selbst angewendet werden. Bevor man beginnt, die Spastik zu behandeln, sollte man versuchen, die möglichen Ursachen zu eliminieren.

Stufe 2: Lagerungsmethoden, physikalische Methoden

Es gibt verschiedene antispastische Lagerungsmethoden (z. B. Schneidersitz), die die Spastik reduzieren und deren Effekt auch noch Stunden nach der Anwendung wirkt. Mit physikalischen Methoden wie Sauna oder Schwimmbad oder mittels Hippotherapie lässt sich die Spastik vermindern. Häufig ist der Effekt über einige Stunden anhaltend und trägt wesentlich zum besseren Wohlbefinden des Betroffenen bei. Stehtraining kann die Spastik positiv beeinflussen. Es wird auch berichtet, dass eine transcutane Elektrostimulation positive Effekte generiert, die Forschung darüber ist aber noch im Gange. Durch die Veränderung der Sitzposition im Rollstuhl kann das Problem ebenfalls positiv beeinflusst werden. Anzustreben ist ein 90°-Winkel in Hüfte und Knie bei leichter Kantelung der Sitzfläche (leicht nach hinten gekippt). Auch neue Therapieformen wie Gehen im Lokomat oder in Exoskeletten scheinen in der Lage zu sein, Spastik vorübergehend zu reduzieren.

Stufe 3: Physiotherapie

Spezielle physiotherapeutische Übungen können die Spastizität deutlich reduzieren (z. B. Physiotherapie nach Vojta). Ziel ist die Hemmung pathologischer Bewegungsmuster und die Verminderung der Beugespastik der oberen Extremitäten sowie der Streckspastik an den Beinen. Stretching der Muskulatur verhindert eine strukturelle Verkürzung und regelmäßiges Durchbewegen erhält die passive Beweglichkeit der Gelenke. Ideal wäre eine Erhaltungstherapie mit ein- bis zweimal Physiotherapie pro Woche und täglichen Selbstübungen.

Stufe 4: Orale medikamentöse Behandlung

Bei stärkerer Spastik und bei wesentlicher Beeinträchtigung im täglichen Leben muss an eine medikamentöse Therapie gedacht werden. Objektive Gründe dafür sind:

  • Die Spastik verunmöglicht die Intimpflege am Patienten;
  • Die Spastik verursacht Druckstellen;
  • Dies Spastik stellt eine Verletzungsgefahr dar;
  • Die Spastik verhindert die Partizipation am täglichen Leben;
  • Die Spastik verursacht so starke Schmerzen, dass diese mit Schmerzmitteln behandelt werden müssten.

Die meisten Medikamente dämpfen die Aktivität von Hirn und Rückenmark, was sich bezüglich Spastik positiv auswirkt. Auf der anderen Seite führt dies auch zu Müdigkeit, Konzentrationsmangel, Schläfrigkeit und Blutdruckabfall sowie Muskelschwäche auch der nicht gelähmten Muskulatur. Die Stehfähigkeit und Gehfähigkeit bei inkomplett gelähmten Patienten wird dadurch beeinträchtigt. Es kann sich eine ungünstige Sitzposition im Rollstuhl entwickeln, die zu sekundären Schäden und Einschränkung der Mobilität und Selbständigkeit führt.

Man muss sich bewusst sein, dass keine der vom Arzt verschriebenen Substanzen die Spastik vollständig beseitigen, noch die Kraft der betroffenen Muskeln verbessern kann. Die Spastik ist zwar medikamentös kontrolliert, die Kraft im nicht gelähmten Bereich des Körpers nimmt jedoch ab. Die Wahl und Dosierung dieser Substanzen sollte deshalb gut überlegt und abgewogen werden, da alle wirksamen Medikamente auch empfindliche Nebenwirkungen hervorrufen können.

Stufe 5: Invasive Methoden

Botulinumtoxin kennen wir heute eher aus der kosmetischen Industrie als aus der Medizin. Bei der Behandlung von lokaler Spastik einzelner Muskeln oder Muskelgruppen leistet es jedoch einen ausgezeichneten Beitrag zur Verbesserung der Funktion.

Botulinumtoxin ist ein starkes Gift, welches die Übertragung der Nervenimpulse auf den Muskel blockiert. Dadurch kommt es zur Schwächung des Muskels, je nach Dosis sogar bis zur kompletten Lähmung. Die Dauer bis zum Wirkungseintritt nach lokaler Injektion beträgt einige Tage und die Wirkung hält für 3 bis 4 Monate an. Kurzfristige Nervenblockaden können auch mit Lokalanästhetika erreicht werden.

Stufe 6: Intrathekale Administration

Damit eine bessere Wirkung mit geringerer Dosis erreicht werden kann, werden heute verschiedenen Substanzen (Baclofen, Morphium usw.) auch über implantierbare Medikamentendosierpumpen direkt in die cerebrospinale Flüssigkeit (Hirnwasser) in welcher das Rückenmark schwimmt, abgegeben. Dadurch ist es möglich, Verluste bei der Resorption im Magen, bei der Filtrierung durch die Leber und das Hindernis der Blut-Hirn-Schranke zu umgehen. Mit einem Bruchteil der sonst notwendigen Dosis kann man so den gleichen oder sogar einen besseren Effekt erreichen. Die Nebenwirkungen sind bei geringeren Dosen auch entsprechend reduziert.

Bevor man sich zu einer solchen Maßnahme entschließt, sollte man den Effekt einige Tage mit einem vorübergehend durch die Haut gelegten intrathekalen Katheter (Cospan- Katheter) und einer externen Pumpe testen. Damit lässt sich sehr gut herausfinden, mit welcher Dosis eine gute und für den Patienten akzeptable Wirkung erreicht werden kann.

Nach Implantation einer Pumpe muss diese je nach Verbrauch alle 3 Wochen bis alle 3 Monate wieder aufgefüllt werden. Dies geschieht durch einen Stich mit einer Kanüle durch die Haut bis ins Reservoir der Pumpe. Die Batterie der Pumpe hält etwa 4 bis 5 Jahre, dann muss das ganze Aggregat chirurgisch ausgetauscht werden. Bei Überdosierung beobachtet man Schläfrigkeit, Benommenheit, schlaffe Muskulatur, Übelkeit, Schwindel. Eine Unterdosierung ist durch Fehlfunktion der Pumpe oder durch Abknicken, Leckage oder Fehllage des Katheters möglich.

Stufe 7: Orthopädische Korrekturen

Die orthopädischen Eingriffe zielen vor allem darauf ab, die Muskelkontrakturen zu korrigieren, damit der Patient wieder im Rollstuhl sitzen kann. Zur vereinfachten Intimpflege können verschiedene Tenolysen (= Durchschneiden der Sehnen) von Muskeln der Adduktorengruppe durchgeführt werden.

Spastik führt längerfristig auch zur Deformation der Wirbelsäule (Skoliose). Wenn die Maßnahmen der Physiotherapie nicht mehr greifen und die Positionierung im Rollstuhl (Sitzschale) fehlschlägt, kommen die Wirbelsäulenchirurgen zum Zuge und müssen Korrektureingriffe durchführen, um eine schmerzfreie Sitzposition wieder herzustellen.

Stufe 8 Neurochirurgische Eingriffe

Eine neurochirurgische Behandlung der Spastik kommt heute nur noch in sehr ausgewählten und seltenen Fällen vor. Durch bessere Medikamente kann man meist auf diese destruierenden, meist nicht reversiblen Operationen und die dadurch verursachten gezielten Nervenläsionen verzichten. Die Unterbrechung der sakralen Spinalnerven zur Therapie der Blasenspastik wird jedoch von den Urologen bei der Implantation eines Blasenstimulators praktiziert.

 Bei allen Stufen ist es entscheidend, dass Arzt und Patient ihre Ziele nicht aus den Augen verlieren und eine Verbesserung der Lebensqualität resultiert.
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